Einführung

Die feierliche Eröffnung des am 5. März 1933 gewählten Reichstags ging als „Tag von Potsdam“ in die Geschichte ein. Der propagandistisch aufgeladene Staatsakt am 21. März 1933 gilt als symbolische Inszenierung des Bündnisses zwischen altem Preußentum und junger nationalsozialistischer Bewegung. Zehntausende Menschen wollten vor Ort das Ereignis miterleben, welches der Rundfunk ins ganze Land sendete. Aufgrund ihrer starken Symbolkraft bot sich Potsdamer Garnisonkirche wie kein zweites Gebäude als Schauplatz des Spektakels an.

Gedenkausgabe der Zeitschrift „Die Woche“ zum „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933

Sonderausgaben der Presse mit Fotos und Berichten vom „Tag von Potsdam“ wie diese Gedenkausgabe der Zeitschrift „Die Woche“ aus dem Hugenberg-Konzern fanden in den Tagen nach dem Ereignis unzählige Abnehmer. Sie griffen die propagandistische Inanspruchnahme des Staatsaktes auf, indem sie symbolträchtig den Alten Fritz oder Reichskanzler Otto von Bismarck und vor allem die Garnisonkirche als Personen und Orte vergangener nationaler Größe präsentierten, an deren Erfolge die neue NSDAP-geführte Reichsregierung anschließen werde. In Deutschland wurde der „Tag von Potsdam“ daher schnell als symbolische Verbindung von konservativem Traditionsbewusstsein und nationalsozialistischem Erneuerungswillen wahrgenommen, welche zur Überwindung der von vielen als nationale Zerrissenheit wahrgenommenen politischen Lage führe.

„Wir grüßen das neue Deutschland“

Zehntausende strömten am Morgen des Frühlingsanfangstages, dem 21. März 1933, in die Stadt. Viele davon kamen aus Berlin mit der Bahn und folgten dem Menschenstrom über die Kaiser-Wilhelm-Brücke (heute: Lange Brücke) in die mit kaiserlichem Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuzfahnen dicht beflaggte Innenstadt. An der Bildung des Spaliers vom Alten Markt zur Garnisonkirche waren mehr als 20.000 Personen beteiligt, unter ihnen Angehörige von politischen Verbänden, Vereinen und Parteien. Auch Schüler verschiedener Potsdamer Schulen beteiligten sich an der Spalierbildung, sie hatten wie auch in vielen anderen Schulen im Deutschen Reich an diesem Dienstag unterrichtsfrei.

Friedrich Bestehorn: Der „Tag von Potsdam“ und seine Vorgeschichte. Das Werden des 21. März 1933.

Zwei Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 hatte Adolf Hitler den erst im November 1932 gewählten Reichstag auflösen und Neuwahlen für den 5. März 1933 ansetzen lassen. Er rechnete für die NSDAP mit einer absoluten Mehrheit, insbesondere unter dem Eindruck des den Kommunisten zugeschriebenen Reichstagsbrandes am 27. Februar. Am Tag nach dem Brand beauftragte er die Ministerialbürokratie mit der Suche nach einem würdigen Ort für die Konstituierung des neu zu wählenden Reichstags, die wie schon 1848 und 1919 als Zeichen des Neuanfangs außerhalb von Berlin stattfinden sollte. Das Potsdamer Stadtschloss oder das Neue Palais kamen in Frage, waren aber zu klein. Drei Tage vor der Reichstagswahl folgte schließlich das Reichskabinett unter Führung Hitlers dem Vorschlag des Potsdamer Obermagistratrates Friedrich Bestehorn und beschloss, die Eröffnung in der Garnisonkirche abzuhalten. In diesem Bericht, der zunächst in der Potsdamer Tageszeitung erschien, schilderte er die Entscheidungsfindung und das weitere Geschehen.

Wahlplakat der NSDAP: "Nimmer wird das Reich zerstöret - wenn ihr einig seid und treu"

Für die Reichstagswahl 1933 warb die NSDAP in nationalkonservativen Kreisen unter anderem mit einer gemeinsamen Darstellung der Porträts von Adolf Hitler und dem damals sehr populären Reichspräsident Paul von Hindenburg, beide mit entschlossenem Blick. Der Spruch aus einem Gedicht von Max von Schenkendorf, der als Freiwilliger an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teilgenommen hatte, soll die inszenierte nationale Geschlossenheit unterstreichen. Die NSDAP erhielt bei dieser nicht mehr freien Wahl – die Kandidaten der KPD waren nicht zugelassen worden – fast 44 Prozent Zustimmung und stellte mit Abstand die größte Fraktion im Reichstag. Doch die angestrebte absolute Mehrheit hatte sie klar verfehlt.

Offener Brief an den Gemeindekirchenrat der Zivilgemeinde

Noch vor der Reichstagswahl berichteten verschiedene Zeitungen von dem Kabinettsbeschluss, den neuen Reichstag in der Garnisonkirche eröffnen zu wollen. Viele Zeitungen hoben die große Symbolkraft der Garnisonkirche hervor und stilisierten den Ausweichort als Chance zu einem „glücklichen Abschluss der Weimarer Periode.“ Andere reagierten deutlich verhaltener auf die politische Inanspruchnahme der Kirche. Kritische Briefe  wie der des alldeutschen Otto von Roeder betonten, die Kirche dürfe kein „Tummelplatz politischer Leidenschaften“ werden. Andere konservative Kritiker fürchteten Krawalle der mittlerweile verbotenen KPD in der Kirche. Der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin und auch der Generalsuperintendenten der Kurmark, Otto Dibelius, lehnten eine politische Veranstaltung in der Kirche zunächst aus religiösen Gründen ab, während der deutschnational geprägte Gemeinderat der Zivilgemeinde und auch der Militärpfarrer zustimmten mit der Maßgabe, dass von „parlamentarischen Verhandlungen“ abgesehen werde.

Plan für die Feiern in Potsdam aus Anlass der Eröffnung des Reichstags am 21. März 1933

In enger Abstimmung mit dem Reichskanzleramt, dem Evangelischen Oberkirchenrat und der Zivilgemeinde präzisierte das Innenministerium den Ablauf für den Staatsakt, dessen Programm in diesem offiziellen Dokument verteilt wurde. Die Feierlichkeiten fanden in drei Potsdamer Kirchen statt: Die katholischen Abgeordneten nahmen an einem Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche (heute: Peter-und-Paul-Kirche) teil und die evangelischen Abgeordneten an einem Gottesdienst in der St. Nikolaikirche. Adolf Hitler blieb den Gottesdiensten bewusst fern und kam erst nach Potsdam, als sich die Abgeordneten zur Garnisonkirche begaben. Der dort stattfindende Staatsakt knüpfte an die Tradition an, als der erste Reichstag des neu gegründeten Deutschen Kaiserreichs am 21. März 1871 im Weißen Saal des Berliner Stadtschlosses von Kaiser Wilhelm I. eröffnet wurde.

Titelblatt der Potsdamer Tageszeitung, Sonderausgabe zum 21. März 1933

Im Mittelpunkt des „Tags von Potsdam“ – so zeigt es diese Titelblattgestaltung anschaulich – stand Reichspräsident Paul von Hindenburg. Er genoss in weiten Teilen der Bevölkerung große Popularität. Als junger Leutnant hatte er an den Reichseinigungskriegen 1866 und 1870/71 teilgenommen und im Ersten Weltkrieg seinen "Heldenstatus" gefestigt. Wie kein anderer verkörperte der hochdekorierte General den nationalen Wiederaufstieg Preußens im 19. Jahrhundert, der in der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 gipfelte. Der ehemalige Feldmarschall des Kaisers und nunmehrige Reichspräsident galt vielen als Ersatzkaiser, der die verschiedenen Traditionslinien – hier am Bildrand gruppiert – in seiner Person und in dem Spruch „Nimmer wird das Reich zerstöret - wenn ihr einig seid und treu“ symbolisch zusammenführte.

Bundesarchiv | Bestand Film: K-82536, 29.03.1933

Emelka-Tonwoche: Eröffnung des Reichstages in der Potsdamer Garnisonkirche

Die zahlreichen akkreditieren Foto- und Filmjournalisten aus aller Welt bekamen besondere Plätze zugewiesen, um beste Sicht auf das Spektakel zu bekommen. Diese Sequenzen der Emelka-Tonwoche geben auch ohne weiteren Kommentar anschaulich die euphorische Stimmung in der Stadt wider. Der Film zeigt die Menschenmassen auf den Straßen, den Reichspräsident und die katholischen Abgeordneten beim Verlassen ihrer Gottesdienste sowie die Mitglieder der Reichsregierung von Adolf Hitler auf dem Weg zur Garnisonkirche, in der dann Hindenburg auf die Würde des Ortes verweist und Hitler in seiner Regierungserklärung verspricht, dass „die Regierung der nationalen Erhebung“ entschlossen sei, „ihre vor dem deutschen Volk übernommene Aufgabe zu erfüllen.“ Nach dem Staatsakt in der Kirche folgte ein Salutschießen. Der greise Generalfeldmarschall und andere Militärs sowie die Regierung nahmen die Parade von militärischen Truppen, Polizei- und SA-Verbänden sowie weiteren paramilitärischen Gruppen ab.

Telefunken-Werbeanzeige: Millionen erlebten „den historischen Tag in Potsdam“

Vom Rundfunk wurden die Ereignisse vom 21. März 1933 in voller Länge übertragen. Joseph Goebbels, seit 13. März 1933 Reichspropagandaminister, hatte alle deutschen Sender angewiesen, ein einheitliches Programm zu senden. Liveschaltungen aus Potsdam mit bedeutungsschweren nationalistischen Kommentaren wechselten sich mit preußischen Märschen und historischen Vorträgen ab. In vielen Orten des Deutschen Reiches wurden parallel dazu würdige Feiern, paramilitärische Aufmärsche oder festliche Umzüge durchgeführt.

Die "Handschlag-Fotos" von Theo Eisenhart und Georg Pahl

Vor allem nach 1945 erlangte Theo Eisenharts Foto vom Handschlag Hindenburgs mit Hitler bei der Verabschiedung vor der Garnisonkirche breite Bekanntheit. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich beide die Hände bereits zweimal gereicht: Ein erstes Mal zur Begrüßung und ein weiteres Mal im Inneren der Kirche. Bestehorn schilderte die Szene wie folgt: „An der Gruft des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. und seines großen Sohnes Friedrich reichte sich der greise Feldmarschall Paul von Hindenburg und der jugendstarke Kanzler des im nationalsozialistischen Dritten Reich sich seiner inneren und äußeren Ehre wieder bewusst gewordenen Volkes, Adolf Hitler, die Hand.“ Der eher zufällig entstandene Schnappschuss von Eisenhart – und nicht die Gegenperspektive des Berliner Fotojournalisten Georg Pahl  – avancierte zum dem ikonographischen Symbol des Ereignisses, auch da es wie kein anderes Motiv die propagierte Verbindung von preußischer Tradition mit nationalsozialistischer Bewegung scheinbar auf den Punkt brachte. Zusätzlich blendete das Foto die jubelnden und zugleich Hitler wählenden Massen geschickt aus und reduziert die Machtübertragung geschickt auf die beiden Protagonisten.

Archive of the USC Shoah Foundation, http://sfi.usc.edu/, 17.03.1997

Interview mit Wolfgang Schweitzer, Teil 1

Eine vollkommen andere Perspektive des „Tages von Potsdam“ schildert der 1916 geborene Wolfgang Schweitzer. Sein Vater, Carl-Gunther Schweitzer, war vom jüdischen Glauben zum Protestantismus konvertiert und hatte Theologie studiert. Anfang der 1920er Jahre wirkte sein Vater als Hilfsprediger an der Garnisonkirche, bis er ans Johannesstift in Spandau wechselte. Im März 1933 fuhr Schweitzer mit dem Rad über 20 km nach Potsdam, um am „Tag von Potsdam“ teilzunehmen. Er erlebte das Ereignis abseits der Hauptbühnen und berichtet über den ihm begegnenden Antisemitismus und die Angst, die sich mit diesem Tag in ihm ausbreitete.

Einlieferung von Regimegegnern in das KZ Oranienburg

Dem Staatsakt demonstrativ ferngeblieben waren alle Abgeordneten der SPD. Auch die Politiker der mittlerweile verbotenen KPD fehlten, viele von ihnen befanden sich auf der Flucht, im Untergrund oder bereits im Gefängnis. Für politische Gegner hatte die SA an diesem 21. März, als aller Augen nach Potsdam gerichtet waren, mitten in der Stadt Oranienburg in einer ehemaligen Brauerei das erste Konzentrationslager Preußens eingerichtet. Die Zahl der Inhaftierten stieg allein in Preußen bis April 1933 auf über 25.000 an. Aus dem Straßenterror der SA entwickelte sich in den folgenden Jahren das staatlich organisierte KZ-System. In seiner zweiten Sitzung am 23. März 1933 verabschiedete der Reichstag unter Ablehnung einzig der SPD das so genannte Ermächtigungsgesetz. Mit ihm konnte die Regierung Hitlers ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung des Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen. Es ebnete rechtlich den Weg in die NS-Diktatur und galt bis 1945.